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KW 23 · 10. Juni 2020 · Management

Sineks gerechte Sache

Foto Sineks gerechte Sache

Steven J. Sasson hat etwas Großes erfunden, damals 1975, kurz nach seinem Master-Abschluss in Elektrotechnik. Die von ihm entwickelte Technik, das funktionsfähige Gerät, erhielt ein Patent und im Jahre 2008 wurde ihm mit der Begründung, „seine wegweisende Erfindung markiert einen Epochenwechsel“, der Kulturpreis der DGPh1 verliehen. Seine Leistung wurde als revolutionär und bahnbrechend eingestuft – er hatte die Digitalkamera erfunden.

 

Er handelte damals im Auftrag seines Arbeitgebers Eastman KODAK, die wirtschaftlichen Verwertungsrechte lagen dort. Diese neue Errungenschaft führte KODAK jedoch in ein gefühltes Dilemma. Man war Weltmarktführer für alles rund um das Fotografieren, und zwar auf allen Stufen der vertikalen Wertschöpfung. Kameras, Filme – die Filmpatrone war ebenso eine bahnbrechende Erfindung wie der Karussell-Dia-Projektor, Chemikalien und das Papier zur Entwicklung der Aufnahmen, die Blitzwürfel und diverse Maschinen, die für den Prozess der privaten und kommerziellen Fotografie nötig waren – in allen Feldern war KODAK dominierend.

Dies entsprach der ganz ursprünglichen unternehmerischen Vision des Firmengründers George Eastman, er wollte das Fotografieren allen Menschen zugänglich machen. Zum Ende des 19. Jahrhunderts bereits. Kein Unternehmen hat seither mehr Patente rund um die Foto- und Filmtechnik erlangt. Die unternehmerische Vision inspirierte die Menschen. Mitarbeiter*innen genauso wie die begeisterten Kunden. Man agierte für eine „gerechte Sache“, wie Simon Sinek es benennt.    

Simon Sinek ist Autor, Dozent und Unternehmensberater, in England geboren, in den USA agierend und global beachtet. Bekannt wurde er mit seinen Thesen für eine erfolgreiche Unternehmensführung. Seine Bücher sind durchgehend internationale Bestseller, seine Vorträge auf den TED-Innovationskonferenzen zählen zu den meistgesehenen. „Frage immer erst Warum“ ist seine zentrale Erkenntnis und Titel eines seiner Leitbücher. Das ‚Warum‘ als Kernelement einer authentischen und inspirierenden unternehmerischen Vision macht jede Kommunikation überzeugender und glaubwürdiger.


People don’t buy what you do but why you do it“ ist seine mantrahafte Botschaft. Seine Methodik des „Golden Circle“ benennt drei Kreiselemente der Unternehmenskommunikation: why, how und what – mit der dringenden Empfehlung, von innen nach außen zu denken und zu handeln. Ein Why wie bei KODAK ist überzeugender, wenn die Aussage zum Beispiel lautet: Wir glauben daran, dass jeder Mensch auf der Erde seine Erinnerungen in Bildern festhalten möchte. Dafür engagieren sich unsere Ingenieure und Techniker jeden Tag, um Ihnen die modernsten fotografischen Produkte anbieten zu können. Wie zum Beispiel, das Produkt…, das sich durch…auszeichnet.
Der Stimulus einer geteilten Überzeugung wirkt wesentlich nachhaltiger als die herkömmlichen Verkaufsargumentationen: Wir haben hier das sensationell neue Produkt, das folgenden USP aufweist und deshalb für Sie als Kunden noch besser, billiger, einfacher zu handhaben ist. (Und demnächst mit Wettbewerbsprodukten und ähnlichen USP Aussagen in Konkurrenz steht.)


Natürlich ist auch KODAK mit den eher kurzfristigen Zielausrichtungen lange Zeit sehr gut gefahren. Im globalen Wettbewerb werden auch sie vielfach die stereotypen Produktbotschaften eingesetzt haben, so wie es in vielen Branchen gleichermaßen passiert.
Und es war ja auch noch da, dieses Warum. Es war ein Antrieb fürs ganze Unternehmen, immer wieder Vorreiter zu sein. Pioniere. Neue Techniken, bahnbrechende Erfindungen blieben ein Motor. Begeisterten die Mitarbeiter*innen immer wieder aufs Neue. Und so war ja auch Steven Sassons Leistung ein Ergebnis dieser Unternehmensphilosophie.

 

Doch: jetzt hielt man die Technik zurück. Für die Digitalisierung sei es noch zu früh und außerdem würde es das komplette bisherige Geschäftsmodell kannibalisieren. Man verließ die ursprüngliche Vision, ging ab von dem Weg, als Technologieführer Wegbereiter für die Massenfotografie zu sein. Kurzfristige Ziele waren wichtiger, jede verkaufte Digitalkamera hätte das komplexe Fotogeschäft…verändert.

Ja, es galt Veränderungen einzuschätzen. Doch mit welchem zeitlichen Maßstab? Mit Blick aufs laufende Geschäftsjahr und vielleicht auch auf die bereits gemachten Planzahlen für die nächsten Jahre ließen sich die Manager verführen. Zu der vermeintlich kurzfristigen Sicherheit.
Doch wann käme dann der richtige Zeitpunkt für die neue Technik? Die Vision wurde ausgeblendet, das WARUM galt nicht mehr. Es gab jetzt andere Ziele. Umsatz und Ergebnis. Kurzfristig. Jeweils zur Befriedigung des Shareholder Values. Man war nicht mehr für die Menschen da. Nicht für die Kunden, nicht für die Mitarbeiter*innen.

Im Ergebnis höhlte es die Bedeutung des Unternehmens aus. Die Digitalisierung war nicht aufzuhalten. Andere preschten vor, wurden zu Treibern der neuen Technologie. KODAK konnte temporär noch die eigenen Patentrechte vermarkten und machte sich vor, Teilhabe an diesem in eigener Bewertung neuen Markt zu besitzen. Und gleichzeitig noch stark im alten Markt zu bleiben. Doch zunehmend gab es keinen Markt mehr für Filmpatronen etc.

Sicher hätte man noch aufspringen können. Doch es gab bereits viele andere Platzhirsche. Und dann kam noch etwas Neues hinzu, was den Markt nochmals dramatisch veränderte. Mit Telefonen konnten man plötzlich fotografieren.
KODAK überlebte noch eine gewisse Phase dank der Patenteinnahmen, musste dann jedoch 2012 den Gang in die Insolvenz antreten. Heute ist das Unternehmen nicht mehr das gleiche. Und das ist das eigentlich Traurige daran.

Nach Simon Sinek hätte es die Orientierung an der gerechten Sache bedurft, wie man den englischen Terminus just cause übersetzen kann. In seinem Buch „Das unendliche Spiel – Strategien für dauerhaften Erfolg“ definiert er sinngemäß: eine gerechte Sache ist eine konkrete Vision einer Zukunft, die noch nicht eingetreten ist, aber so reizvoll ist, dass wir daraus Motivation und Sinn schöpfen, die über den Zeitraum des persönlichen Wirkens hinaus gehen. Und dabei sollte sie positiv und idealistisch sein und so stark, dass sie politischen, technischen und kulturellen Wandel überdauert. 2


Und all dies hatte KODAK. Ursprünglich. Dieser Antrieb des Firmengründers George Eastmann lebte auch nach dessen Tod 1932 im Unternehmen weiter. Engagierte Mitarbeiter*innen, eine loyale Kundschaft und viele technischen Errungenschaften belegen dies. Doch dann verlies man den eigenen Weg. Der Zugang zur neuen Technik wurde den Kunden verwehrt. Andere übernahmen diese Mission.

Demnächst Teil 2 der Trilogie: Der Zwecksinn

 

1 Deutsche Gesellschaft für Photographie e.V. https://www.dgph.de/presse_news/pressemitteilungen/dgph-ehrt-den-erfinder-der-digitalkamera-mit-dem-kulturpreis

2 Simon Sinek, „Das unendliche Spiel“, REDLINE Verlag, Seite 43ff

 

Foto: Th_G auf Pixabay 

Tags: Management

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