Die Positionierung
der Woche

Kommentare und Beobachtungen
aus dem Marketing

KW 33 · 21. August 2020 · Management

Sinn, Zweck oder Sinnzweck

Foto Sinn, Zweck oder Sinnzweck

Ein kurzer Blick zurück, Teil 1 meiner Trilogie:

Eastman KODAK hat seine „gerechte Sache“ („just cause“) aus den Augen verloren, wie der anerkannte Autor, Dozent und Unternehmensberater, Simon Sinek, es nennt. Und dabei war KODAK über ein Jahrhundert ein höchst respektiertes Unternehmen rund um die Fotografie.
Doch man hat seine Bestimmung verraten, den Weg des Pionierhaften verlassen. Die Technologieführerschaft aufgegeben zum Schutz vermeintlich kurzfristiger Zahlensicherheit. Lieber alte Umsätze verteidigen als weiterhin Vorreiter für die ursprüngliche Vision zu bleiben, das Fotografieren allen Menschen auf der Welt zugänglich zu machen.

Das ursprüngliche WARUM, das Sinek immer ins Zentrum seiner Unternehmensanalysen stellt, galt nicht mehr. Die motivierende Kraft, sowohl für Kunden als auch für Mitarbeiter*innen, motivierte nicht mehr. Das Agieren wurde dadurch weniger glaubhaft, weniger überzeugend. In letzter Konsequenz: man betrieb das, was jeder andere (wettbewerbende) Anbieter theoretisch genauso gut machte. Der Vorsprung der Bedeutung wurde aufgegeben. Keine Emotion mehr, nur noch rationales Wirtschaften…

Heute möchte ich ein weiteres Denkkonzept beleuchten. Den Purpose, das dem Leipziger Führungsmodell der Handelshochschule Leipzig (HHL)1 rund um Prof. Dr. Timo Meynhardt, Lehrstuhlinhaber für Wirtschaftspsychologie und Führung, entstammt.

Auch Professor Meynhardt und Kollegen und Kolleginnen stellen das WARUM in den Mittelpunkt ihres Modells. Wie der Titel und auch der Name des Lehrstuhls besagen, geht es zunächst um unternehmerische Führung. Und deren Orientierung. Die heutigen Herausforderungen an Unternehmen sind vielschichtiger geworden. Und gewissermaßen anspruchsvoller. Einerseits ist alles überall und jederzeit vorhanden, fast im Überfluss und oft nur noch mit sehr kurzem Innovationsvorsprung. Die Nach- und Gleichmacherei schreitet voran.

Gleichzeitig verknappen sich Ressourcen. Produktion und Konsum stehen gleichermaßen vor Herausforderungen – vor ethischen, ökologischen und sozialen. Nachhaltigkeit beispielsweise ist dabei kein Marketing Clou. Nachhaltigkeit steht für einen ehrlichen Umgang mit den Herausforderungen unserer Zeit. Und für eine längerfristige Geschäftsausrichtung.

Nachhaltigkeit stützt die Glaubwürdigkeit, zumindest für solche Unternehmen, die einen zeitlich weiteren Horizont erfassen. Die nicht nur von Jahr zu Jahr ihren kaufmännischen Kennzahlen nachhecheln, nur noch Kurzzeit-Zielen folgen – wie KODAK zuletzt. Hier treffen sich also schon Sineks gerechte Sache und das Purpose Konzept, welches ein Warum mit Gesellschaftsbezug darstellt. Gemeinwohlbezug nennen es die Leipziger.

War KODAKs gerechte Sache dann nicht schon ein Purpose? Nun, diese Frage ist rückwirkend und von außen wohl nur noch müßig zu beantworten oder semantisch. Ja, die ursprüngliche Mission hatte einen Gesellschaftsbezug: allen Menschen das Fotografieren nahebringen. Entscheidend ist aber, wie bei KODAK innen gedacht und geführt wurde. Dass deren eigener unternehmerische Kompass zur Seite gelegt wurde, war für Sinek der Ursprung allen Übels. Die innere Glaubwürdigkeit bröckelte, da ist es heute egal, wie man diese Orientierung hätte nennen können.

Aber für Sinek wurde mit dem Verlassen der gerechten Sache der Unternehmenszweck verraten. Er sah die fast ausschließliche Orientierung am Shareholder Value als Ursache. Natürlich liefert Sinek mit dem zentralen Warum auch einen Unternehmenssinn. Die Ausformulierung oder auch nur die innere Haltung der Unternehmenslenker*innen solle eine visionäre Motivation innehaben, die eine Bedeutung über die Manager Amtszeiten hinaus sichert. Also zukunftsfest macht, wenn man die technischen, kulturellen, politischen und modischen Veränderungen damit meistern kann.

 

Auf KODAK bezogen würde ich schlussfolgern, dass im Operativen der Zweck verändert und der Sinn verkleinert wurde.
Es braucht also eine stabile Kombi beider Werte. Deshalb prägt die Leipziger Schule den Begriff Purpose. In Ermangelung einer perfekten Übersetzung der Bedeutungsbreite wird im Deutschen der Begriff Sinnzweck verwendet. Das Element Sinn ist unverzichtbar für die Motivation. „Mit dem Sinn kann ich mich identifizieren“ äußert Professor Meynhardt in einem Interview mit dem Havard Business Magazin im März 20202, der Purpose werde damit zur „Motivationsquelle für Mitarbeiter, Investoren und Führungskräfte“ – und sicher auch für Kunden.

Doch Meynhardt stellt ganz bewusst darauf ab, dass der Purpose die Wertschöpfung tragen muss. Keine Predigt für den reinen Idealismus. Jedes Unternehmen steht im Wettbewerb, muss sich an Marktgegebenheiten orientieren und verfolgt zumeist auch wirtschaftliche Ziele. Das braucht Einklang. Zwischen Sinn und Zweck. Innen und außen. Absicht und Handeln, Anspruch und Wirklichkeit. Gemeinwohldenken ist für ihn Wertschöpfungsdenken, denn unsere Gesellschaft braucht überzeugende Unternehmen und freies Unternehmertum im Rahmen unserer sozial verstandenen Marktwirtschaft. Purpose leistet einen Beitrag für die Gesellschaft.

Für Unternehmen wird die Herausforderung darin liegen, die ganz eigene Bestimmung und Umsetzung zu finden. Und hierfür gibt Professor Meynhardt uns mit auf dem Weg, dass diese Positionierung nicht unique sein muss. Die simple USP-Orientierung hält er sogar für eine Art Gefallsucht. Heutzutage werden unterschiedliche Unternehmen zu ähnlichen Purpose Bestimmungen kommen können. Ressourcenschonend, umweltverträglich, nachhaltig sind zeitgemäße Attribute, die viele in die gleiche Richtung denken lassen. Entscheidend wird die überzeugende Umsetzung sein. Hierin liegt der eigentliche Wettbewerb der Zukunft. Die eigene Identität bleibt dabei unverwechselbar und dadurch einzigartig.

Die Frage stellt sich, was hätte KODAK auf seinem Kurs halten können. Die Ausgangslage war, über 80 Jahre gewachsen, so solide. Unsere Erfahrung und auch die Fantasie lassen uns gute, sinnvolle Formulierungen finden. Retrospektiv. Doch das nützt alles nichts, die Führung hat sich anders verhalten, hatte keine Werte mehr, an die sie selbst noch glaubte. Die Mission der Unternehmensgründung wurde verloren. Eine Mahnung für uns alle.

Sinek und Meynhardt liegen in ihrem Denken nah beieinander. Simon Sinek könnte die Anspruchserweiterung seines just cause wohl zugestehen. Sein Denkmodell ist gut zehn Jahre älter und die Welt hat sich seither verändert. Die Leipziger haben die tiefergehenden Erwartungen an Arbeitgeber sowie Hersteller und Anbieter von Produkt- und Dienstleistungen in ein zeitgemäßes und wertorientiertes Führungsmodell integriert. Sinek ist näher an typischen Marketing und Vertriebs Kontexten, die Leipziger Schule stärker an Unternehmertum und Leadership orientiert. Doch auch hier: beides bedingt sich. Im Zentrum bleibt das Warum, nur hierin ist der Sinnzweck zu finden.

 

Demnächst Teil 3 der Trilogie: Die gemeinsame Sache

1 Quelle und Basisinformationen https://www.hhl.de/de/leipziger-fuehrungsmodell/

2 Interview im Havard Business Magazin, Online Zugang https://heft.harvardbusinessmanager.de/digital/#HM/2020/2/168896737 

Foto: Th_G auf Pixabay 

 

Tags: Management

...zurück zur Übersicht